Es gibt Trainings, aus denen ich selbst als Teilnehmerin dankbar herausgehe – mit zwei Aha-Effekten und vielleicht sogar einer neuen Technik an der Hand. Und es gibt Trainings, aus denen ich als Teilnehmerin tief berührt herausgehe – mit einem neuen Verständnis von Verständnis und der wiederbelebten Erkenntnis: Es geht in Kommunikation um viel mehr als „Technik“.

Der Trainer ist Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun.

Kommunikationspsychologe, dessen Lehre in Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung gelehrt wird. So habe ich in meinem sprechwissenschaftlichen rhetorischen Studium seine Bücher als Grundlagenliteratur gelesen und über seine Modelle Referate gehalten. Es war ein lang ersehnter Wunsch, bei ihm persönlich eine kommunikationspsychologische Ausbildung zu machen und in diesem Jahr ist es endlich soweit.

Die meisten kennen sein Vier-Ohren-Modell, das bekannteste von allen. Seine Teilnehmer kennen am Ende eines Trainings weit mehr als seine Modelle mit ihrer gehaltvollen Substanz, deren Anwendung eine gelingende Kommunikation und ein echtes Verständnis zwischen Menschen fördert. Sie kennen Friedo – mit seinen unterschiedlichen Facetten und Rollen: den verständnisvollen Mentor, den Trainer-Kollegen, den WG-Mitbewohner, den Witzeerzähler, den Lyrik-Liebhaber, den Ehemann und den Sohn, der mit seinen persönlichen Beispielen berührt. So schafft er eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der Emotionen gezeigt werden dürfen. Sie leiten uns durch´s Leben und machen Beziehungen aus.

Im Training geht es um Lebensthemen

Es geht um den Umgang mit uns selbst, den Umgang mit anderen, Beziehungen im Allgemeinen, Liebe, Sex, Finanzen, den Tod. Wer sind wir, wo stehen wir und v.a. wo stehen wir in Beziehung mit unterschiedlichen Menschen und unterschiedlichen Themen?
Wir hören sonst so oft von allgemeingültigen Regeln, die für alle gelten, wir hören gute Ratschläge und Tipps, die uns auf dem Weg zu einem besseren Leben helfen sollen. Wir streben alle nach dem Glück. Schon in der Schule habe ich als Abschlussarbeit in meinem Leistungskurs Latein über die stoische und epikureische Auffassung von Glück geschrieben und mich immer gefragt: Was ist es, was uns wirklich glücklich macht? Als Kommunikationstrainerin bin ich davon überzeugt, dass eine gesunde Kommunikation mit anderen die Grundlage eines glücklichen Lebens ist. Als Schülerin von Friedemann Schulz von Thun bin ich davon überzeugt, dass das Sehen und die Akzeptanz der eigenen Persönlichkeit und der unserer Mitmenschen die Grundlage für ein glückliches Leben ist. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt in der Lage sind, mit anderen wertschätzend umzugehen.

Respekt ist allen wichtig, aber die Frage ist: Wie schaffen wir es, ihn in Verhalten und Sprache zu leben?

Am 22. Mai war ich Gast auf einer Veranstaltung, auf der unser früherer Bundestagspräsident Norbert Lammert gesprochen hat. Anlass war der 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes mit seinem Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Hier kamen Menschen zusammen, die sich für die Würde des Menschen interessiert haben. Dieselben Menschen haben sich beschwert: „Die dahinten, unmöglich, hast du die gesehen!“ Neben mich setzte sich eine Frau, die zu ihrem Mann sagte: „Wurde noch aufgehalten von so einem Schwarzen, was weiß ich, woher der kam“. Nach einer Wortmeldung eines Gastes, der mit seiner eigenen Vorstellung die Zuschauer gelangweilt hat, geht sofort nach 5 Sekunden ein Raunen durch den Saal: „Oooh Gott“, offensichtliche Abwertung. Dass sich jemand für Würde und Respekt interessiert und das von anderen erwartet, heißt offensichtlich noch lange nicht, dass er genau das selbst zeigt.

Was brauchen wir dafür?

Die Schwierigkeit ist, dass wir im Alltag eben kein echtes Verständnis für den anderen haben. Und hier hilft auch kein Training, dass die Technik des aktiven Zuhörens lehrt: „Mmh, aha, interessant, das ist dir also wichtig.“ Wenn wir in Wahrheit den anderen gar nicht verstehen, helfen auch keine Worthülsen. Damit bei uns selbst die Bombe nicht platzt, wenn jemand anders ist als wir und etwas tut, was wir selbst niemals tun würden, brauchen wir einen Empathiekompass. Denn nur wenn wir den anderen in seinem Handeln und Denken wahrhaftig verstehen, können wir auch wahrhaftig zeigen, dass wir ihn verstehen.

Empathie-Kompass

Diesen Empathiekompass hat Friedo in außergewöhnlichen Trainings präsentiert, gemeinsam mit Diplom-Psychologin Karen Zoller und einige Wochen zuvor gemeinsam mit Diplom-Psychologe Stephan Bußkamp. Was uns Menschen prägt und durch das Leben begleitet, sind unsere unterschiedlichen Ängste. Die hat Fritz Riemann in seinem 1961 erschienen Buch „Grundformen der Angst“ beschrieben. Dieses Buch zu lesen, kann ich allerdings mit einem Augenzwinkern nur unter Vorbehalt empfehlen. Ich war nicht die Einzige, die nach der Lektüre der Überzeugung war, sie sei komplett schizoid, zwanghaft, hysterisch und depressiv – das sind die vier pathologischen Extreme der vier unterschiedlichen Pole des Modells.

Christoph Thomann hat dieses Modell weiterentwickelt, alltagstauglich gemacht. Seine Weiterentwicklung haben wir im Training erfahren und mit anderen Modellen von Friedemann Schulz von Thun in Einklang gebracht, z.B. dem inneren Team.
Das Riemann-Thomann-Modell enthält zwei Achsen: eine räumliche waagrechte mit ihren beiden Polen Nähe und Distanz und eine zeitliche senkrechte mit ihren beiden Polen Dauer und Wechsel:

Jeder von uns trägt all diese vier Pole in sich und einige besonders.

Wieso gerade das Riemann-Thomann-Modell?

Ich habe mich gefragt: Wieso beschäftigen wir uns genau mit diesem Modell? Es gibt unheimlich viele davon. Denn wir streben danach, die Komplexität des Menschen und seiner Kommunikation irgendwie zu greifen und zu vereinfachen. Es gibt seit der ursprünglichen Temperamentenlehre von Hippokrates unzählige weitere Modelle, die sich ähneln. Oft unterscheidet sich nur die Nomenklatur. Da gibt es Tiernamen oder die vier Elemente Erde – Wasser – Feuer – Luft, die die unterschiedlichen Persönlichkeitstypen beschreiben, bis hin zu Modellen, die 16 unterschiedliche Typen beschreiben in der Hoffnung, hiermit die Komplexität der Persönlichkeit besser zu differenzieren. Allerdings weniger alltagstauglich. Wer kann sich schon 16 Typen merken? Ich jedenfalls nicht.

Das am Besten erforschte Modell mit validem Test sind die Big 5 – wieso beschäftigen wir uns also nicht mit diesem? Weil es den Menschen als Einzelnen erfasst und nicht in seiner Beziehung zu anderen. Wir haben z.B. einen gewissen Grad an Gewissenhaftigkeit. Das ist durchaus interessant zu wissen. Die Frage in zwischenmenschlichen Beziehungen ist aber: Im Vergleich zu wem? Jemand, der eine hohe Ausprägung an Gewissenhaftigkeit (Nach Riemann-Thomann: Dauer) hat, würde mich eher als chaotisch (Wechsel) einstufen. Jemand der weniger gewissenhaft ist, würde mich schon fast als zwanghaft in meiner Planung bezeichnen.

Wir haben in unterschiedlichen Lebenslagen unterschiedliche Verhaltensweisen

Diese Beziehungen zueinander erfasst das Kreuz des Riemann-Thomann-Modells: Wo stehst du und wo stehe ich? Zudem berücksichtigt es, dass wir in unterschiedlichen Situationen und mit unterschiedlichen Menschen unterschiedlich agieren: Im Business-Alltag mögen wir hoch strukturiert sein und planen (Dauer), aber im Privaten lieber spontan und flexibel (Wechsel) sein. Mit unserem Partner mögen wir die Verbundenheit schätzen und am liebsten jede Minute miteinander verbringen (Nähe), während wir ansonsten im Alltag zu anderen Menschen eher Abstand halten (Distanz). Beim Sex mögen wir evtl. Abwechslung, ungewöhnliche Orte (Wechsel) und ein gewisses Maß an Fremdheit durch Kleidung oder sogar durch wechselnde Partner (Distanz) und bei Finanzen aber die Sicherheit, Kontrolle und einen genauen Finanzplan (Dauer). Genauso mit Personen: Gegenüber den Eltern verhält sich jemand vielleicht eher distanziert, während er sich gegenüber Freunden ganz anders gibt und mehr Vertrauen schenken kann.
Das Modell bleibt also flexibel, das Kreuz wandert zwischen den Menschen mit und verändert sich auch mit den verschiedenen Themen. Damit ist es weit davon entfernt davon, den Menschen an sich in eine Schublade zu stecken, die immer gelten soll und aus der er nicht mehr heraus kommt.

Wir bestehen aus einer inneren Pluralität – „Wir sind viele“. Sich dieser bewusst zu werden und zu sehen, was lebe ich und wo liegt gleichzeitig aber meine Sehnsucht, die vielleicht eine ganz andere ist, ist hochemotional. Bei der Begegnung mit uns selbst und unseren Themen wurden wir von unseren beiden Trainern sensibel begleitet.

Und was ist mit den Vollidioten dieser Welt?

Selbstklärung ist die Grundlage für die Klärung mit unserem Gegenüber. Und bei so viel Selbstklärung kam in mir eine Frage, die ich gestellt habe:
„Wie weit geht denn das Verständnis für andere? Gestehst du dir selbst noch zu, jemand anderen als Vollpfosten zu sehen oder denkst du dir sofort: „Oh, Friedo, Mensch, da musst du jetzt aber mal schauen, was das in dir triggert, dass dich das jetzt stört? Wenn jemand jemanden auf der Straße schlägt oder wenn jemand lügt, dass sich die Balken biegen – muss ich mich da dann selbst fragen, was mit mir jetzt los ist, dass mich das stört? Wann ist Schluss mit Selbstklärung?“

Friedos Antwort: „Natürlich sehe ich manchmal Vollpfosten und ich muss auch zugeben, dass ich manchmal von ziemlich vielen Vollpfosten umgeben bin. Ich habe nicht den Anspruch als Erleuchteter durch die Gegend zu gehen.“  (…)
Ich habe es weiterhin so verstanden, dass wir Menschen unsere eigenen Werte und Grenzen haben und dass es absolut legitim und auch notwendig ist, diese Grenzen zu kennen, um sie anderen im Bedarfsfall auch deutlich zu machen.

Es beruhigt mich ungemein, dass ich manche Menschen weiterhin als Vollpfosten sehen darf und nicht in meinem Leben haben möchte und dennoch alles in Ordnung mit mir ist.

Einfluss auf meine eigene Trainings

All diese Themen haben mich zum Nachdenken gebracht, wie ich meine eigenen Seminare so verändern kann, dass die ganz eigene Kommunikationspersönlichkeit des Einzelnen mehr zum Tragen kommt. Es ergibt manchmal keinen Sinn, der ganzen Gruppe dasselbe zu raten.
Wir Menschen sind so komplex unterschiedlich – auch wenn es nach der Beschäftigung mit der Sozialpsychologie, die unsere Gemeinsamkeiten beschreibt – anders wirkt. Du und ich, wir sind ganz anders. Und was bei dem einen auf eine bestimmte Weise gelingt, muss für den anderen noch lange nicht das richtige sein. Und dennoch gibt es in der Kommunikation so viele Regeln à la 1.2.3. Dieses Gespräch muss so verlaufen und diese Gesprächsart muss so verlaufen. Doch wie Friedo so schön sagt: „Viele Wege führen nach Rom. Aber nicht jeder will nach Rom“. Es geht nicht allein um Technik, es geht um den Einbezug der individuellen Persönlichkeit – der meinen und der des anderen – in die Kommunikation.

Daher besteht meine ganz persönliche Aufgabe als Trainerin nun zum einen darin zu erarbeiten, wie ich die Individualpsychologie, die die Verschiedenheit der Menschen beschreibt, in meine Präsentations- und Verhandlungstrainings noch intensiver integrieren kann. Zum anderen besteht sie darin, wie ich mit meiner Trainings-Methodik den vier verschiedenen Polen noch besser gerecht werden kann.

Was wir selbst verändern können, auch wenn andere schwierig sind

All diese kommunikationspsychologischen Inhalte tragen dazu bei, dass ich mich als Mensch und als Trainerin weiterentwickle und all das meinen Teilnehmern weitergeben kann. Ich kann es nicht nicht berücksichtigen, denn unser Kommunikationsstil, unsere Sprache und Stimme ist immer ein Spiegel unserer inneren Haltung. Und vielleicht denkt sich jetzt jemand: „Na klasse, ich mach doch alles richtig. Aber der Rainer, der sollte mal zu einem Kommunikationstraining gehen, der braucht das“, der unterschätzt, welchen Einfluss wir mit unserer eigenen Haltung auf andere haben. Und nicht vergessen: Da gibt immer noch die Option, jemanden im absoluten Notfall als Vollpfosten zu sehen.
Wir können sehr viel verändern. Und es fängt bei uns selbst an. Einer inneren Haltung, die den anderen sieht und versteht – was nicht bedeutet zuzustimmen – und diese so in Sprache und Stimme nach außen getragen werden kann.

DANKE

Lieber Friedo, liebe Karen, lieber Stephan, ich danke Euch für Eure klugen Gedanken, die so vielen Menschen in ihrem Verständnis für sich selbst und für andere weiterhelfen. Ihr habt meinen Nähepol, den ich schon lange vermisst habe, fast zum Explodieren gebracht. Dass ich am Ende eines Trainings, bei dem so viele inklusive Lehrende Tränen vergießen, auch noch mitmache, habe ich von mir nicht erwartet. Euer Dauerpol hat das Seminar wunderbar strukturiert. Ich habe mich über jede einzelne deiner, Friedo, akkurat zurecht gelegten Folien gefreut. Und noch mehr darüber, wie du dich Dank Wechselpol, über dich selbst und vieles andere amüsieren kannst.

Es war keine Wissensvermittlung, sondern ein Erlebnis mit Erkenntnis und Begegnung. Danke!