Die Kanzlerin ist gleichgültig und die Youtuber dumm?

Welche Rolle die Stimme spielt.

Am 16. August stellte sich Angela Merkel den Fragen von vier Youtubern. Laut Presse und Zuschauerkommentare wirken die Interviewenden auf einige, als ob sie keine Ahnung hätten und Bundeskanzlerin Merkel „mühelos“, gleichgültig oder sogar „einlullend“. Mr. Wissen2go schneidet noch gut ab, die Frauen kommen weniger gut weg.
Daher 3 Stimmmerkmale der Frauen, die es uns Zuhörern schwer machen, Inhalte ernst zu nehmen.

Zu finden ist die Aufzeichnung hier: https://www.youtube.com/watch?v=Uq2zIzscPgY+

Die Interviewerinnen: So schnell stehen sie da wie Idioten

Sie mögen intelligent, interessiert und kompetent sein – ihre Stimme drückt es nicht aus. Gleich die erste Interviewerin (ab 02:16 Minuten) spricht nicht in ihrer natürlichen Tiefe, sondern darüber – so wie ihre Kolleginnen auch. Eine hohe Sprechstimmlage wirkt inkompetent und unsicher; letzteres ist in dieser Situation völlig verständlich – wer führt schon ohne Aufregung zum ersten Mal ein Gespräch mit der Bundeskanzlerin, die jeden rhetorischen Kniff kennt und einem gelassen in die Augen blickt? Wir Frauen haben es schwer, unsere Unsicherheit zu verbergen, denn unsere Stimmbänder sind kürzer und dünner als die der Männer. Somit ist Unsicherheit schneller hörbar: Die Stimmbänder spannen sich an, schwingen schneller, also haben wir eine höhere Sprechtonhöhe. Leider mit negativer Außenwirkung. Dann kommt bei der zweiten Interviewerin noch ein ungewollter Seitenhieb der Bundeskanzlerin hinzu (43:15: „Ihr erstes Interview im Leben? Sonst machen Sie immer nur Selbstdarstellung?“) und schon steht sie da wie ein Idiot.

Die Moderatorin in den kurzen Einspielern hat nicht nur eine leicht erhöhte Sprechtonhöhe, sondern knarrt zusätzlich am Satzende (02:06: „.. Verschlimmerung dieser Situation an“, und 02:09/10: „… die Schere nicht weiter auseinander gehen darf.“). Das wird von Hörern als gekünstelt und unsympathisch bewertet, da es in die Tiefe gedrückt und nicht natürlich ist.
Heraus kommen am Ende Zuschauerkommentare wie: „Diese YouTuber sind ja geistig völlig unbewaffnet und politisch vollkommen unfähig!“ Worauf sich dieses Urteil in Wirklichkeit begründet, bleibt wie bei vielen Hasskommentaren das Geheimnis der Kommentierenden.

Die Kanzlerin
Artikulation – Unterspannung, die auf die Palme bringen kann.
Wenn die Zunge müde und unterspannt ist, nimmt sie diesen Job nicht ganz so ernst. Nicht nur sie, auch Lippen und Kiefer machen mit beim Relaxen: Das „s“ ist nicht mehr ganz so scharf, der Mund weniger weit offen, Vokale kommen nicht mehr resonant heraus und auch das „t“ ist weniger kraftvoll genauso wie das „b“ oder „p“, die bilabial mit den Lippen gebildet werden. Das ist bei Angela Merkel zwar nicht mehr so stark wie noch vor 10 Jahren, aber nach wie vor durchzuhören. Das bewerten wir unbewusst – meist negativ. Denn dieses Ausruhen und ungenaue Sprechen kommt zustande, wenn wir traurig, müde oder krank sind und keine Kraft dafür haben oder auch wenn uns etwas nicht so wichtig erscheint und in diesem Fall gar nicht zu viel Kraft für etwas aufwenden möchten; wir halten es nicht für nötig. Das kann in einigen Situationen auf die Palme bringen, wenn Gesprächspartner, Wähler, Kollegen das Gefühl haben, das Thema werde wohl nicht als wichtig genug erachtet, als dass der andere dafür Kraft aufbringen möchte.

Sprechmelodie – Gleichförmigkeit, die beruhigen, aber auch einlullen kann.
Findet Angela Merkel die angesprochenen Inhalte überhaupt wichtig? Liegen sie ihr am Herzen? Für viele wirkt es nicht so:
Unterspannung im Körper wirkt sich auch auf die Sprechmelodie aus. Sie ist gleichförmig und hört sich monoton an. Damit haben es Hörer schwer: Was ist eigentlich wichtig in diesem Satz? Findet der Sprecher überhaupt irgendetwas wichtig? Alles klingt gleich. Angela Merkels Sprechmelodie zeigt zum einen selten eindeutige Hauptbetonungen wie bei 20:09 Minuten („Dass das besser kontrolliert wird“), die sich durch ein eindeutiges Angeben der Tonhöhe und Lautstärke auszeichnen; zum anderen wiederholt sich ihre Sprechmelodie und ist in den verschiedenen Sätzen ähnlich, ein rhythmisches Sprechen, das einem „Leiern“ nahe kommt. Das kann aus aufgeheizten Diskussionen Aggression herausnehmen und beruhigend wirken, kann aber auch – wie es in einigen Presseartikeln heute der Fall ist – als negativ und gleichgültig ausgelegt werden. Der Drive und die Leidenschaft fehlen. Es scheint, als seien ihr die Interviews und die Themen egal, sie spult ihr übliches Programm ab, denn sie hat diese Inhalte schon 100 Mal erzählt.

Ob sie wahr sind oder nicht – Urteile werden anhand der Stimme gebildet. Dabei schützt Wissen nicht vor Urteil: Selbst wenn wir wissen, welches Sprechmerkmal für eine bestimmte Wirkung verantwortlich ist und dass es eventuell nicht wahrist – die Wirkung bleibt bestehen. Das können wir allerdings auch bewusst nutzen und dann ist unsere Stimme kein Verräter mehr (z.B. unserer Unsicherheit), sondern eine Chance.