Das Problem mit der Moral und wie sie einer positiven Diskussionskultur schadet

Gute Argumente helfen oft nicht weiter, um in Diskussionen zu überzeugen. Denn es geht nicht um Inhalte, sondern um Emotionen.

Diskussionen scheitern nicht deshalb, weil wir schlechte Argumente hätten oder weil wir nicht wüssten, wie sich Souveränität nach außen zeigt. Sie scheitern deshalb, weil unsere Emotionen uns davon abhalten, kooperativ miteinander zu reden. Besonders der innere Moralapostel stachelt uns auf: „Wie rücksichtlos kann man sein?! Der muss mal einer zeigen, wo hier der Hase lang läuft!“

Sind wir emotional aufgewühlt, verfallen wir in Stress. Dann passiert FFFF– Fight, flight, freeze oder fawn: Wir schießen zurück, wir ziehen uns zurück, wir lassen das Reden unseres Gegenübers über uns ergehen, um uns im Nahhinein über diese Person zu echauffieren, oder wir machen gute Mine zum bösen Spiel. Um das zu umgehen und angemessen reagieren zu können, ist es daher notwendig, die Reaktion an der Wurzel zu packen: daran, dass wir uns persönlich angegriffen fühlen.

„Nimm es nicht persönlich“ – Danke für den Tipp. Klappt nicht.

Warum? Ein Grund dafür ist, dass unsere innere Einstellung ein Teil unserer Persönlichkeit ist. Besonders wenn es um Gewohnheiten oder Prägungen geht („So macht man das“), oder um Werte („So ist es gut und richtig“). Alle, die sich anders verhalten als wir es für richtig halten, geraten unter den DKB-Verdacht: „Die andere Person muss dumm, krank oder böse sein.“

Besonders wenn es um Werte und Moral geht, wird es brenzlig. Sie sind Teil unserer Identität. Deshalb sind wir sofort emotional persönlich involviert, selbst wenn es nur ums Thema geht, wie z.B. Impfung. Wer uns hier umstimmen will, greift unsere Werte an, die untrennbar mit unserer Persönlichkeit verbunden sind. Wenn wir unsere Meinung ändern würden, würden wir selbst unsere Identität angreifen. Wir versuchen sie durch dicke Mauern zu schützen. Deshalb ist es so schwierig, Menschen umzustimmen.

Das Paradoxon des Guten

Das ist der Grund, weshalb gerade diejenigen, die sich besonders hohe moralische Maßstäbe gesetzt haben, in Gefahr geraten, sich schnell persönlich angegriffen zu fühlen und auch besonders hart zurückzuschlagen. Mit dem Ziel des Guten werden neue Feindbilder aufgebaut, zum Beispiel aktuell der „alte weiße CIS-Mann“.

Der Philosoph Gerhard Szczesny brachte es so auf den Punkt:
„Das meiste Übel in dieser Welt [ist] nicht … auf böse Absichten, sondern auf die bösen Folgen eines unbegrenzten Willens zum Guten zurückzuführen.“

Wegen Werten wurden Kriege geführt. Wegen Werten werden Menschen beleidigt. Wegen Werten werden Online-Hetzjagden veranstaltet. Alles im Namen des Guten.

Zähmen Sie Ihren inneren Moralapostel

Jeder Mensch glaubt von sich, für das Gute einzustehen. Das Problem: Andere Menschen haben auch Werte. Andere Werte. Würden wir jeden angreifen, der andere Werte hat, steht es schlecht um unsere Gesprächskultur. Unser gute Wille und unser hehres Ziel sind keine Entschuldigung für Beleidigungen und Hassrede. Zähmen Sie Ihren inneren Moralapostel und verzichten Sie auf diese Brandbeschleuniger:

– Belehrungen: „Du musst mal lernen, dass ….“
– Dämonisierung: „Wer so denkt, ist böse.“
– Psychologisierungen: „Aha, so tickst du also“

Wer das schafft, hat bereits viel gewonnen, um in ein zielführendes Gespräch einzusteigen. Dafür ist es wichtig, Feindbildern nicht mit Feindbildern zu begegnen, Ausgrenzung nicht mit Ausgrenzung zu beantworten; und den Moralapostel ab und zu ruhiger zu stellen. Ist er leiser, können Sie wieder hören, was jemand wirklich sagt, gelassen sein und wieder ins Gespräch kommen. Nur so können wir wirklich etwas bewirken.

 

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