Jedem das Seine – bitte nicht.

Ein Thema, das ich in Trainings nur am Rande anspreche, weil es da eher um Methoden geht, die funktionieren. Und jeder kann dann selbst entscheiden, ob er diese verwenden möchte.
Also: Jedem das Seine. Oha, jetzt habe ich es selbst gesagt. Dabei zucke ich meistens zusammen, wenn ich den Satz höre.

► Weil er über dem Eingang des KZ in Buchenwald angeschrieben war.⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀
► Weil er impliziert: Jeder kann machen, was er möchte.
Das ist aber nicht möglich, denn wir leben in einer Gemeinschaft. Nach Kant endet deine Freiheit und das, was du gerne tun würdest dort, wo die Freiheit des anderen anfängt. Diese Vorstellung können wir nicht uneingeschränkt einhalten, aber ich sollte mir zumindest darüber Gedanken machen, ob mein Verhalten anderen schaden könnte. Und ob ich es wirklich mit „Jedem das Seine“ rechtfertigen will.

Zusammenhänge, in denen der Satz auftaucht: ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀
• Nicht impfen lassen: „Ich mache das so, wie wir das für richtig halten. Jedem das Seine“ – Nein, denn es betrifft auch andere, wenn deine Kinder irgendwann mit einer gefährlichen Krankheit ansteckend sind. ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀
• Kinder in der Öffentlichkeit bloßstellen oder sogar schlagen: „Es sind doch meine Kinder, was haben Sie damit zu tun? Jedem das Seine“ – Ich habe viel damit zu tun, wenn die psychische Unversehrtheit des Kindes verletzt wird. Im Grundgesetz ist sogar verankert: „Über ihre Betätigung [Erziehung durch die Eltern] wacht die staatliche Gemeinschaft.“
• Billiges Fleisch essen: „Ich akzeptiere jeden, der das macht. Jeder so, wie er will.“ – Nein, denn es betrifft auch andere: Es schadet den Tieren, den Menschen, die es essen, und allen Bauern, die es anders machen und sich gegen die Billig-Konkurrenz durchsetzen wollen. Billiges Fleisch könnte man verteidigen, aber das Argument muss ein anderes sein, sobald es nicht nur den Einzelnen betrifft.
Wenn der Satz im Sinne von Toleranz für etwas gemeint ist, das niemandem schadet, gerne. Wenn er als Rechtfertigung für eigenes Verhalten gilt, oft fragwürdig.

Austausch am Leben halten
Ich selbst schade auch jeden Tag anderen, indem ich die Umwelt verschmutze, sonst viel fliege, tierische Produkte esse, impulsiv reagiere etc.
Der Punkt ist: „Jedem das Seine“ ist für all das kein Argument.
Es gibt unterschiedliche Haltungen, auch zu o.g. Themen. Und wir sollten viel mehr diskutieren statt Meinungen auszuteilen, die dann an einer Wand einfach abprallen. Mit Sprüchen wie „Meine Meinung – deine Meinung“, „So bin ich halt“ oder „Jedem das Seine“ ist jede gesunde Diskussion abgebrochen.
Die inhaltliche Auseinandersetzung und Einigung ist immer noch der Schlüssel zum Arbeiten in Teams und zum generellen Zusammenleben.
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